Sonntag, 20. Oktober 2019

Ein Wort am Sonntag

Nach Konrad Beikircher ist zumindest im Rheinland das römisch-katholische Bekenntnis "normaler Glaube". Der deutsche Normalbürger wird immer noch gerne nach einer Figur aus dem Film Berliner Ballade von 1948 benannt, die der seinerzeit nachkriegsbedingt spindeldürre Gerd Fröbe verkörperte, Otto Normalverbraucher. Dieser übliche Gebrauch des Namens als Begriff für den Durchschnittsbürger bildete die Grundlage für meine Abwandlung "Otto Normalkirchenbesucher" für den durchschnittlichen "Normalgläubigen". Ein Wortspiel, eine Anlehnung, mehr sollte es eigentlich nicht sein.
Doch wer kennt den Film "Berliner Ballade"? Es ist einer der ersten Filme, der nach dem Zweiten Weltkrieg gedreht worden ist. Man zählt ihn damit unter die sog. "Trümmerfilme", doch gerecht wird man diesem Film damit wohl kaum. Er ist eine erste beißende Satire mit Witz und tiefem Humor, die den ganz normalen Irrsinn zwischen Amtstuben und Politik auf's Korn nimmt. In diesem Trubel versucht ein schlichter Kriegsheimkehrer wieder im normalen Leben anzukommen, an seinem alten Zivilleben anzuknüpfen.

Otto Normalkirchenbesucher - durch Familie, Broterwerb und Steuerpflichten zeitlich vom Gremienwesen ausgeschlossen - steht eines Sonntags vor verschlossener Kirchentür. Auf der "Hohmpäitsch" der Pfarrei findet er dann den Pastoralplan 2.0, der ihn über die veränderten Messzeiten informiert. Unter der Überschrift "Weiter weg - näher dran!" wird seitenreich erklärt, warum bei schlechterem Angebot doch alles viel besser würde. In dem Trümmerhaufen der ehemaligen Volkskirche, den haupt-, neben- und ehrenamtliche Funktionsträger hinterlassen haben, versucht er, einen Pfarrer für ein Gespräch zu finden. Eine Odyssee durch die durchfusionierte Großpfarrei beginnt. Die Fahrt geht an Schaukästen und bunten Fähnchen vorbei, die für ein menschliches Antlitz der Kirche werben, doch die Pfarrbüros sind immer dann geschlossen, wenn er dort ankommt. Auch die Telefonnummern des Seelsorgeteams bringen ihn nur mit Anrufbeantwortern in Kontakt, die ihm von verflossenen Bürozeiten oder wichtigen Verpflichtungen erzählen, die die Annahme des Anrufes verunmöglichten. Die Versuche, sich geistlichen Gemeinschaften oder Bruderschaften anzuschließen, scheitern kläglich, da er und seine Familie schlichtweg Normalkatholiken sind. Am Ende bekommt der älteste Sohn, der den "Njusletter" noch nicht abbestellt hatte, eine Meldung auf sein Smartie, daß am nächsten Sonntag die 25. Mitarbeiterin des Pastoralteams begrüßt werden soll. Aufgabenschwerpunkte: Koordination der Koordinationsgruppen pfarreiinterner Ausschußleiterkreise, ökologische Randgruppenarbeit im pastoralen Raum und Umsetzung des Weltfriedens und CO2-Reduktion auf Pfarrheimebene.

Doch wie geht diese Geschichte zu Ende?
Im normalen Leben ist sie, so fürchte ich , schon viel zu oft damit zu Ende gegangen, daß man sonntags schlicht und ergreifend ausschläft. Ich muß das für uns in letzter Zeit leider bestätigen. Wir sind momentan des Reisens (auch in der fabelhaften Großpfarrei) müde und als ständig Reisende bleibt man ohne Heimat, weil vor Ort nichts mehr ist. Denn in der fabelhaften Großpfarrei gehören wir nicht zu einer der Gruppen, die man angesprochen sehen möchte. Wir sind halt keine schicken Randständigen, mit denen man sich schmücken und total hypige Pastoral machen kann, man ist halt nur normaler Glaube. Wenn die Glocken hier mal läuten, fühle ich mich (mit Ausnahme des Angelus) nicht mehr gerufen! Wenn mir das einer vor ein paar Jahren gesagt hätte, ...

Wenn nun EB Gänswein in einem lesenwerten Interview die Gläubigen quasi darum bittet, "kleine Glaubenszellen" zu bilden, (http://kath.net/news/69484) so erscheint mir dieser Wunsch ebenso fromm wie wenig gangbar. Wer solche "Glaubenszellen", wie es sie im evangelischen Raum durchaus gibt, kennengelernt hat, weiß um die Schwierigkeiten dieses Unternehmens, um es einmal höflich auszudrücken. Ob sie es Gruppendynamik, Geltungssucht oder Konkurrenzdenken nennen wollen: Spaltung und Ärger stehen häufig in keinem Verhältnis zum "Faktor Erbauung". Daneben ist das Abdriften in Sonderkulte oder theologische Sackgassen nicht zu unterschätzen. Überhaupt: Woher soll man denn die Leute holen, wenn man einen solchen Kreis gründen wollte? Wie soll denn ein ehemaliger "Normalmessbesucher" so eine Truppe geistlich zusammenhalten? Wir haben doch gar kein Rüstzeug mehr! Wer kennt sich denn z. B. mit dem Stundengebet aus, ist bereit, diese liturgische Form mitzutragen oder "gar Rosenkranz" zu beten?

Es hilft alles nix! Wenn die Priester, die sich noch nicht als "Sozialmanager" oder "Influencer" verstehen, nicht endlich wieder ihre Aufgaben als Seelenhirten übernehmen und diesem Zirkus ein Ende bereiten, wird dat nix! Dafür sind sie geweiht worden und haben Vollmachten bekommen, die wir als Otto Normalkirchenbesucher mangels höherer Weihen nun einmal nicht haben! Schart die Leute um Euch, macht es von mir aus geheim, wie weiland in England. Aber auch für die funktionierende Katakombenkirche braucht es den, der in persona Christi die Sakramente spenden kann.
Die Rückkehr zur Normalität ist mehr als überfällig. Aber was ist heute noch normal?

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