In der Stadt Sheffield (das britische Solingen) gibt es eine anglikanische Bischofskirche mit allem drum und dran, einen Bischof mit Kapitel etc. und natürlich auch einem entsprechenden "cathedral choir". Er ist zwar mittlerweile "mixed", rekrutiert sich also nicht mehr nur aus den Jungens der angeschlossenen und umliegenden Schulen, singt auch sonst nicht in der höchsten Liga anglikanischer Chöre wie Westminster oder Tewkesbury, ist aber immer noch um Klassen besser als ... Sie wissen schon. Das hat damit zu tun, daß die Kirchenmusik auf der Insel noch einen anderen Stellenwert hat als auf dem Kontinent. Dort singen die Chöre in aller Regel noch fast täglich in großer Besetzung die Evensongs - der musikalische Exportschlager der anglikanischen Kirche schlechthin - und in kleineren Ensembles die Frühmessen, die es mancherorts auch noch gibt. Am Ende einer Schullaufbahn hat dann ein Sänger ein entsprechendes Repertoire erarbeitet, seinen Geschmack geschult, mehr "Auftritte" gehabt als mancher Profimusiker in einem ganzen Berufsleben und sehr viel fürs Leben gelernt, Fleiß, Disziplin, Ordnung und diese ganzen bösen alten Sachen. Man pflegt sein Musikgut, hat eine stattliche Zahl hervorragender Komponisten, die immer wieder mit frischen Werken überzeugen und zu 99 % ihre musikalischen Karrieren in diesen Chören begonnen haben. Wenn auch die anglikanische Theologie längst auf den Hund gekommen war, blieb der Church of England dieses Fenster zur Ewigkeit weit offen und so mancher, der von den, durch dieses Fenster einfallenden Strahlen der Gnade getroffen wurde ...
Aber auch diese Zeiten scheinen nun vorbei zu sein.
Überhaupt Gottesdienst, was ist das heute noch?
Wenn ich das Theologenmandarin diverser Pastoralpläne mal etwas eindampfe, dann könnte man es so zusammenfassen: Eine (leider) personalintensive Veranstaltung zur Stützung von Gruppenidentität!
Gott, Lob, Dank, Bekenntnis, Opfer? Fehlanzeige! Wenn für Gott nur das Beste, was wir ihm zurückgeben können, gerade noch
ausreichte, stellt das heute einen ebenso unerträglichen wie unnötigen
Leistungsdruck dar und entspricht auch gar nicht mehr dem angestrebten
Ziel.
Musik, die als zweckfreies Lob Gottes fungiert, kann so nicht mehr "gebraucht werden". Musik ist heute nicht mehr zweckfrei, sondern hat - wie fast alles heute - Zwecken zu genügen. Sicherlich hat Musik immer auch Zwecke erfüllt, aber dies nebenbei, aus ihrer göttlichen Natur heraus. Jeder Sänger kennt die tiefe Erschütterung, die einem beim Singen einer Passion von Vater Bach ergreift und wie sich nach dem letzten gesungenen Ton die Augen unweigerlich mit Tränen füllen. Oder das "Duo Seraphim" aus Monteverdis Marienvesper. Wenn sich die drei Sängern beim Bekenntnis, daß der dreifaltige Gott der eine ist, auf einem Ton zusammenfinden. Unbeschreiblich! Vollendete Schönheit tritt uns entgegen und ergreift uns im tiefsten Inneren. Da öffnet Frau Musica uns ein Fenster zur Ewigkeit, für einen Augenblick, ganz nebenbei. Denn der eigentliche Zweck ist es, zweckfrei zu sein, vollendet schön, ein Dank an den Schöpfer.
Daneben tritt die verzweckte Musik, z. B. Mozart im Kuhstall zur Steigerung Milchmenge oder Kaufhausmusik, die durch den langsamen Takt und weiche Streicherklänge das Tempo der Kunden bremsen soll und eine positive Grundstimmung erzeugen will. Es ist die Weiterentwicklung des Klangbaukastens für Kinoorganisten, die in Stummfilmzeiten für Stimmung und Spezialeffekte zuständig waren.
Kirchenmusik, die nicht mehr als zweckfreies Gotteslob praktiziert wird, nicht mehr Singen und Spielen in den Vorhöfen des HeRRn ist, nicht mehr die Herzen in die Höhe hebt, ist nicht mehr als ein Klangeffekt für das versammelte Grüppchen Mensch, Hintergrundrauschen für gruppenspezifische Pastoral oder als "ein gemeinschaftsstiftendes Element", weil Singen ja so gut tut und wichtig für die Gruppe ist. Ein Geräusch, das also einen rein diesseitigen Zweck erfüllt wie in Kaufhaus, Kuhstall, Kino oder Kneipe! (Da ist der Kirchenmusiker dann auch ganz schnell nicht mehr Künstler, sondern schlicht Handwerker, der gefälligst zu liefern hat und so geht man mit ihnen mittlerweile ja auch um.)
Und da man bei Kirchens in Sheffield schon einen Schritt weiter ist, denkt man nun nicht mehr an die positiven Effekte und Zwecke, die bei den Gottesdienstbesuchern erzielt werden können, sondern wie Musik für alle klingen müßte, die noch nicht dazugehören, die sich vielleicht von ihr bislang ausgeschlossen fühlen ... von exklusiv zu inklusiv ...
Und also beschloß das Kapitel des anglikanischen Domes zu Sheffield in seiner Weisheit und Güte, völlig grundlos, aus heiterem Himmel und ohne mit den Betroffenen ein Wort gewechselt zu haben, seinen Chor aufzulösen, um mehr Menschen zu erreichen.
[Ein kleiner (hinkender) kaufmännischer Vergleich: Ich nehme den Renner des Ladens aus dem Regal, weiß noch nicht genau, was ich dann hinstellen werde, rechne aber auf jeden Fall mit mehr Kunden.]
Da muß man erst mal drauf kommen!
Die Begründung des Dekans scheint aus denselben trüben Quellen gespeist zu sein, wie die Verlautbarungen deutscher Bistümer.
Hier ein Auszug aus dem Artikel von kath.net [Hervorhebungen durch den Autor dieses Textes]:
"Dekan Bradley gab zu, dass die geplante Schließung „echten Kummer
verursachen würde“. Er hoffte, dass einige der bestehenden Chorsänger
Mitglieder eines neuen Chores werden würden, der nach der Ernennung
eines neuen Gottesdienstleiters (canon precentor) in diesem Sommer
gegründet werden soll.
Der neue Chor werde weiterhin Musik aus der anglikanischen Chortradition aufführen, aber sein Repertoire erweitern, sagte er.
„Diese Art von Veränderung in unserer Art von Institution kann ungeheuer
schmerzhaft sein, aber das ist kein Grund, nicht vorwärts zu gehen. Ich
bin der Ansicht, dass viele Kathedralen in den nächsten Jahren ähnliche
Veränderungen vornehmen werden. Es wird für uns ein bisschen brennheiß
sein, aber wir werden nicht in einem Bunker sitzen.“ [ACHTUNG!!!] „Chöre haben sehr
feste Muster, und wir dachten nicht, dass ein schrittweises Vorgehen es
uns erlauben würde, schnell genug voranzukommen", sagte Bradley.
Der Corona-Lockdown, währenddessen die Chöre nicht in der Lage waren,
gemeinsam zu singen oder zu proben, bot laut einer anderen Quelle die
Gelegenheit, diesen Wandel einzuleiten."
https://www.kath.net/news/72407
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